Über Tschiltan und über Tschiltan hinaus

 

Tschiltan nennt man eine in Zentralasien und in den angrenzenden Regionen eine Gruppe von Geistern, die oft wie aus dem Nichts heraus auftreten. Ihnen werden regional sehr unterschiedliche, positive wie negative, Eigenschaften zugesprochen. Sie helfen, beschützen, heilen, aber stibitzen auch.

Ihre Spuren finden sich in Volkserzählungen, schamanischen Ritualen und sufischen Hagiologien. Eine ihrer Erscheinungsformen ist die einer Gruppe von singenden und tanzenden Derwischen oder Kindern.

Tschiltan spielt populäre Musik – Volksmusik, bei der das Publikum tanzen und mitsingen kann. Volksmusik heißt lebendige Musik, die traditionelle Stücke aufgreift, variiert und mit Neuschöpfungen kombiniert.

»Tschiltan« hat bei seinen Aufenthalten in der Region viele Künstler kennengelernt und sie bei ihren Besuchen in Europa unterstützt. Auch mit hier in Europa lebenden Künstlern zentralasiatischer Herkunft kooperieren sie (Central Asia Prague Ensemble, Ari Babachanov, Hafez und Devyani Ali). 2005 wurde eine CD produziert.

Einige Worte zu Zentralasien: Genau genommen beschäftigt sich die Gruppe mit dem westlichen, vorwiegend turk- und iranischsprachigen Teil Zentralasiens, d.h. mit Ländern und Regionen wie Kasachstan, Kirgizstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Xinjiang und Afghanistan. Die Verbreitung der verschiedenen musikalischen Kulturen und Stile verläuft jedoch nicht entlang der Staatsgrenzen – ein kasachisches Lied kann auch aus Xinjiang stammen.

Tschiltan will etwa mit usbekischen und tadschikischen Liedern nicht die kulturpolitischen Nationalismen der betreffenden Länder reproduzieren, sondern möchte die einzelnen musikalischen Genres und Formen kennen lernen, ihre Vielfalt genießen und bei Auftritten präsentieren. Der Name Tschiltan erweist sich so nachträglich als Programm – er steht für die ganze Region und bedeutet doch immer wieder etwas anderes.

»Tschiltan« tritt in traditioneller Kleidung der verschiedenen Regionen auf. Das zielt nicht auf einen touristischen Folkloreeffekt ab. Abgesehen davon, dass sich einzelne Lieder auch auf traditionelle Kleidungsstücke beziehen, stellt die Kleidung einen visuellen Habitus dar, der die Musik unterstützt. Musik und Habitus machen zentralasiatische Lebenswelten für das deutsche Publikum erfahrbar.

Der Gruppe hat sich oft die Frage der Authentizität ihrer Musik gestellt. Sowenig aber eine traditionelle Kultur ein definierbarer statischer Zustand ist, sowenig kann sie »erreicht« und dann »authentisch« wiedergegeben werden. Die Arbeit der Gruppe ist eher ein Prozess der stetigen Aneignung musikalischer Traditionen Zentralasiens unter dem Motto: »Richte keinen Schaden an, sei aufrichtig, hab Spaß dabei!« (der CD eines befreundeten Musikers entlehnt).